„Veränderungen im Management – Hindernisse und Anreize“

„Veränderungen im Management – Hindernisse und Anreize“

„Veränderungen im Management – Hindernisse und Anreize“

 1. Was ist Veränderung? – Definition, Beispiele, Studien Leben ist ständige Veränderung Laut dem freien Wörterbuch Wiktionary ist Veränderung „der Wechsel von einem (alten) Zustand in einen anderen (neuen)“. Demnach ist unser Leben tatsächlich eine ständige...

 1. Was ist Veränderung? – Definition, Beispiele, Studien

Leben ist ständige Veränderung

Laut dem freien Wörterbuch Wiktionary ist Veränderung „der Wechsel von einem (alten) Zustand in einen anderen (neuen)“. Demnach ist unser Leben tatsächlich eine ständige Veränderung. Denn auf der Zeitachse reihen sich alte Zustände und neue Zustände fortlaufend aneinander.
Dennoch erleben wir diese permanente Veränderung subjektiv nicht als Veränderung, solange sie nicht vom Gewohnten abweicht. Eine wichtige Erkenntnis der Hirnforschung ist tatsächlich, dass nur solche Informationen und damit auch Veränderungen bewusst von unserem Gehirn als Veränderungen aufgenommen und verarbeitet werden, die neu, ungewohnt und damit unerwartet sind. Und das, was tagtäglich routinemäßig an fortlaufender Veränderung in unserem Leben abläuft, ist nicht neu, sondern ist zu einem großen Teil Gewohnheit. Und wird deshalb von uns als Kontinuität und als Stabilität und nicht als Veränderung wahrgenommen.
Dieser Beitrag soll sich nun aber sinnvollerweise mit den für uns Menschen neuen, ungewohnten und unerwarteten Veränderungen bezogen auf das Management beschäftigen.
Und diese sind uns häufig erst einmal gar nicht willkommen.

Einige Beispiele für aktuelle Veränderungen

Aktuelle Beispiele für Ereignisse mit teilweise einschneidenden Veränderungen für unsere Unternehmen sind die Digitalisierung, der Klimawandel, die Corona Pandemie und der Ukrainekrieg. Und bei diesem letzten vollkommen unerwarteten Ereignis sind die Auswirkungen und damit Veränderungen insbesondere in unserer Wirtschaft bisher überhaupt noch nicht absehbar.  Weitere Veränderungsprozesse betreffen den zunehmenden Fachkräftemangel, ein sich änderndes Führungsverständnis und den Strukturwandel von Industriezweigen wie aktuell schon der Autoindustrie.

Veränderungen im Management sind ein Megatrend der Zukunft

Veränderungen im Sinne des Verständnisses dieses Beitrages sind also ein Megatrend der Zukunft. Sie werden in Zukunft immer grundsätzlicher und einschneidender werden und an Häufigkeit noch deutlich zunehmen. Deshalb ist es für viele Unternehmen nicht selten sogar existentiell wichtig, ihre Kompetenzen beim Managen von Veränderungen weiterzuentwickeln.
Die Dringlichkeit der Weiterentwicklung dieser Veränderungskompetenzen wird durch die Ergebnisse aktueller Studien zum Erfolg von Change-Projekten in Unternehmen noch zusätzlich verstärkt. Laut Harvard Business Review liefern 75% der offiziellen Veränderungsmaßnahmen nicht die erwarteten Ergebnisse. Und McKinsey´s Studie weist 70% der Change-Projekte als Misserfolg aus.

Welches sind die Ursachen für misslungene Change-Projekte

Die Ursachen für das Misslingen von Change-Projekten wird häufig in einer falschen Projektplanung, fehlenden Ressourcen, unklar definierten Prozessen und Zielen gesehen.
Die Rolle der Menschen bei der Planung und Durchführung von Veränderungsprozessen wird bei der Evaluation von gescheiterten Change-Projekten aber sehr oft vernachlässigt.
Wir Menschen haben aber trotz aller Technisierung weiter eine Schlüsselrolle für das Gelingen von Change-Projekten. Deswegen ist es dringend erforderlich, bei der Planung und Durchführung von Veränderungsprozessen die aktuellen Erfahrungen und Erkenntnisse der Wissenschaft und der Praktiker über uns Menschen viel stärker zu nutzen.

 

2. Mensch und Veränderung – wie funktioniert unser Gehirn – vier entscheidende Grundregeln

Welche Inhalte können Sie von diesem Beitrag erwarten?

Dieser Beitrag beschäftigt sich also im ersten Teil damit, wie wir Menschen aus Sicht von Neurowissenschaft und Psychologie bezogen auf Veränderungen „funktionieren“.

Und diese Erkenntnisse der Gehirnforschung und Psychologie sind außerordentlich wertvoll, um besser zu verstehen, warum viele Menschen Veränderungen nicht mögen. Und warum die Verantwortlichen für Veränderungsprozesse sehr häufig mit Hindernissen oder sogar Widerständen gegen Veränderung zu kämpfen haben.

Im zweiten Teil dieses Beitrages wird dann aufgezeigt, wie die Schlüsselpersonen von Change-Projekten diese wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen können, um Veränderungsprozesse erfolgreicher zu gestalten. Um also die Veränderungsbereitschaft der Beteiligten gemeinsam mit den Beteiligten zu erhöhen.

Als erstes sollen hier also vier zentrale Grundregeln – „Algorithmen“, wie unser menschliches Gehirn funktioniert, dargestellt werden.

 

Regel 1 – unser Gehirn ist ein leidenschaftlicher Energiesparer

Unser Gehirn versucht und das auch ohne unser bewusstes Dazutun alle Aktivitäten zu vermeiden, die Energie verbrauchen. Energie vorrangig in Form von Glucose und Sauerstoff.
Im Ruhezustand verbraucht unser Gehirn bereits 20% und in Gefahren-/Stresssituationen bis zu 80% der von unserem gesamten Organismus benötigten Energie.

Da das Gehirn keinen eigenen Energiespeicher hat, entzieht es bei verstärkter Tätigkeit insbesondere bei Stress dem Körper die benötigte Energie. Diese Energie fehlt dann den restlichen Körperfunktionen. Dies ist bei anhaltendem Stress stark gesundheitsschädlich.

Bereits frühzeitig in der Entwicklung des Gehirns von Säugetieren, hat damit das Gehirn ein Programm zur Einsparung von Energie entwickelt. Insbesondere auch um in lebensbedrohlichen Situationen genügend Energie für die Erhaltung der eigenen Existenz zur Verfügung zu haben. Diese frühe Programmierung des Gehirns ist in tiefen Schichten unseres menschlichen Gehirns bis heute erhalten und bestimmt die Art, wie wir Menschen funktionieren grundlegend.

Alles, was zusätzliche Energie verbraucht, versucht unser Gehirn zu vermeiden

Jegliche Tätigkeiten, die verstärkt Energie benötigen, werden deshalb unbewusst von unserem Gehirn zunächst einmal vermieden oder zumindest weitestgehend reduziert. Dies betrifft insbesondere das Erlernen neuer Verhaltensweisen und Kompetenzen.  Aber auch kognitive Tätigkeiten wie Analysieren, Verstehen, Lösungen finden, sich auf andere Menschen oder Situationen konzentrieren, Zuhören, sich in andere Menschen hineinversetzen u.a. erfordern einen erhöhten Energieverbrauch. Und unser Gehirn versucht sie automatisch auch zunächst einmal einzuschränken.

Gewohnheiten sparen unglaublich viel Energie

Unser Gehirn versucht deshalb schon fast „zwanghaft“ alles, was wir Menschen fühlen, denken und tun, zu automatisieren. Und dies gelingt dem Gehirn mit großem Erfolg, denn ca. 85% unserer menschlichen Aktivitäten laufen in gleicher oder ähnlicher Form wiederkehrend als Gewohnheiten ab. Das salopp klingende Sprichwort „der Mensch ist ein Gewohnheitstier“ hat also hohen Wahrheitsgehalt.

Aber auch das Denken in Kategorien, Strukturen, Schubladen und Vorurteilen sowie unser beliebtes sogenanntes „schwarz-weiß Denken“ ist mit weniger Arbeit verbunden und spart deshalb Energie.

Die meisten Menschen mögen Veränderungen von Natur aus nicht

Veränderungen und damit auch Change-Projekte erfordern also einen erhöhten Energieeinsatz von den betroffenen Menschen. Und diesen erhöhten Energieverbrauch durch Veränderungen versuchen wir deshalb natürlicherweise zunächst einmal zu vermeiden. Und viele von uns erleben Veränderungen deshalb als unangenehm.

Wir wissen dank dieser Forschungsergebnisse mittlerweile, warum die meisten Menschen Veränderungen natürlicherweise erst einmal nicht mögen. Es ist deshalb durchaus sinnvoll, mehr Verständnis für die Abneigung und den Widerstand vieler Menschen gegen Veränderungen zu haben. Und wir sollten verstärkt Wege finden, wie wir diese natürliche Abneigung von Beteiligten von Change-Prozessen verringern können. Und wie wir die Betroffenen für die aktive, konstruktive Mitarbeit in Change Prozessen gewinnen können.

 

Regel 2 – unser Gehirn ist ein „fanatischer Fan“ angenehmer Zustände

Bereits vor der Geburt und dann zunehmend in den ersten Lebensjahren bewertet unser Gehirn fortlaufend, welche unserer Erfahrungen angenehm und welche unangenehm sind.
Welche Gedanken, Gefühle und Tätigkeiten Bedürfnisbefriedigung und damit Lust und Wohlbefinden in uns Menschen erzeugen und welche Schmerz, Unlust und Unwohlsein auslösen.

Auf diese Art sorgt unser Gehirn dafür, dass wir Menschen alles Angenehme wiederholen und erneut aufsuchen und alles Unangenehme vermeiden und abwehren.
Diese permanente Evaluierung unseres Erlebens und die daraus abgeleitete Steuerung unserer Aktivitäten findet vollkommen automatisiert statt. Und beides erfolgt zunächst auch einmal ganz unbewusst. Die Ergebnisse dieser Bewertungs- und Steuerungsprozesse können wir uns aber zumindest teilweise willentlich bewusst machen.

Viele Menschen versuchen Veränderungen zu vermeiden, weil sie unangenehm sind

Durch diese Grundprogrammierung der Tätigkeit unseres Gehirns lernen wir in der frühen Kindheit, was uns motiviert, weil es für uns angenehm ist. Und wir entwickeln auf diese Art ein Leben lang überwiegend unbewusst Verhaltensgewohnheiten, die angenehme Zustände in uns erzeugen und unangenehme vermeiden. Da nun aber Veränderungen häufig nach unserem Erleben recht unangenehm sind, versucht unser Gehirn und damit wir Menschen auch aus diesem Grunde zunächst einmal, Veränderungen zu vermeiden.

 

Regel 3 – Vernunft und Einsicht haben keinen direkten Einfluss auf unser Verhalten

Diese Grundregel unserer Gehirnfunktion ist für jeden, der bisher glaubte, Einsicht ist der Schlüssel für menschliche Verhaltensänderung eine herbe Enttäuschung.

Nach dieser Regel ist Einsicht in die Notwendigkeit einer Veränderung zwar ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Veränderung. Einsicht allein hat aber noch keinen Einfluss darauf, dass Menschen ein Change-Projekt auch tatsächlich mittragen und in der Praxis nachhaltig umsetzen.

„Bauch gegen Kopf“ – wer kennt diesen Konflikt nicht?

Der Grund hierfür ist der uns Menschen sehr vertraute „Bauch versus Kopf“ – Konflikt. Mark Forster hat diesen Konflikt auf sehr melodische Art in seinem Song „Bauch und Kopf“
besungen. Im Refrain des Songs heißt es sehr treffend: „Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein. Und zwischen den beiden steh‘ ich“.

Bezogen auf Veränderungsprozesse müsste dieser Refrain in Abwandlung heißen: „Kopf sagt zu Chef, ja, ich sehe die Notwendigkeit der Veränderung ein. Und Bauch sagt zu Kopf, nein, ich habe aber keine Lust dazu. Ich spüre keinerlei Motivation für diese Veränderung.“ Und damit bleibt es dann, wie so oft in Veränderungsprozessen, allein bei den Willensbekundungen der Beteiligten, denen in der Folge aber keine nachhaltigen Taten folgen.

Unser „Kopf“ befähigt uns zu Logik, Vernunft und Einsicht

Wie lässt sich dieses Dilemma neurowissenschaftlich erklären? Wir Menschen haben tatsächlich in unserem Gehirn einen Teil, der für den „Kopf“ steht. Dies sind die äußeren 6 Schichten unserer Großhirnrinde. Der Teil des Gehirns also, der direkt unter unserer Schädeldecke liegt. In diesem Bereich des Gehirns sind unsere Sprachzentren lokalisiert. Unser logisches Denken, das Analysieren von Sachverhalten, die Problemlösung und das Festlegen von Zielen finden hier statt. Und wir sind dank dieses Teils unseres Gehirns auch zu Vernunft und Einsicht in der Lage.

Für gute Ergebnisse müssen „Bauch und Kopf“ zusammenarbeiten

Allerdings hat dieser Gehirnbereich weder anatomisch noch funktional einen direkten Einfluss auf die verhaltenssteuernden Zentren unseres Gehirns. Dieser Teil unseres Gehirns kann also von sich aus allein kein Verhalten auslösen.

Damit also aus einer Problemlösung, einem Ziel und aus Einsicht tatsächlich nachhaltiges Verhalten wird, sollten sich diese Ergebnisse unserer kognitiven Tätigkeit mit dem „Bauch“ zusammentun. Und beide müssen dann an ein und demselben „Strang“ ziehen. Es ist also notwendig, dass wir für das, was wir uns zum Ziel gesetzt haben und eingesehen haben, auch motiviert sind. Das heißt, einen Nutzen und Gewinn für uns selbst in unseren Zielen erleben.

Unser sogenannter „Bauch“ ist ebenfalls ein Teil unseres Gehirns

Verantwortlich für diese fundamental wichtige Motivation für unser Handeln ist der Teil von uns Menschen, den wir gerne so salopp „Bauch“ nennen. Dieser Teil von uns befindet sich aber nicht in unserem Bauch, sondern ist ebenfalls ein Bereich in unserem Gehirn. Und er wird repräsentiert durch zentrale Teile des limbischen Systems, genauer gesagt durch das Belohnungs- und Motivationssystem.

In diesen Arealen unseres Gehirns ist im Laufe unserer Entwicklung, wie oben beschrieben, festgelegt worden, was für uns Menschen angenehm und lustvoll ist. Und was wir deshalb fühlen, denken und vor allem tun müssen, um unsere Bedürfnisse auf diese wohltuende Art zu befriedigen. In diesen Teilen des limbischen Systems entsteht also unsere Motivation für unser Handeln.

Und diese Teile des Gehirns sind direkt mit den verhaltenssteuernden Gehirnzentren verbunden. Sie lösen also unser Verhalten aus. Sie motivieren uns dazu, uns ernsthaft und nachhaltig an einem Change-Projekt zu beteiligen.

 

Regel 4 – ohne Belohnung läuft gar nichts

„Ohne Belohnung läuft gar nichts“ ist die Überschrift eines Interviews, das Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, einer der besten deutschsprachigen Gehirnforscher, vor einigen Jahren der WirtschaftsWoche gegeben hat. Und er bestätigt damit auch noch einmal die Schlussfolgerungen, die im vorherigen Abschnitt hinsichtlich unserer Verhaltenssteuerung bereits genannt wurden.

Was ist für uns Menschen Belohnung und wie entsteht unsere Motivation?

Belohnung ist für uns auf jeden Fall schon einmal ein angenehmer Zustand, nach dem wir ja auf Grund der Grundprogrammierung unseres Gehirns fortlaufend streben. Und den wir entsprechend der Regel 2 (siehe oben) immer wieder neu erleben wollen.

Auf der Befindlichkeitsebene ist Belohnung der Zustand, den wir mit Zufriedenheit, Freude, Glück, Erfüllung und in besonders intensiver Qualität auch mit Euphorie, Rausch, Ekstase beschreiben.

Auf der chemischen Ebene wird beim Erleben von Belohnung in unserem Gehirn ein „magischer Cocktail“ verschiedener neuromodulatorischer Substanzen freigesetzt: Darunter auch Serotonin, das sogenannte „Glückshormon“, Oxytocin, das „Bindungshormon“ und verschiedene körpereigene Drogen, d.h. endogene Opioide und Endocannabinoide. Diese körpereigenen Drogen wirken auf uns Menschen genauso, wie die von außen zugeführte Drogen euphorisierend und rauscherzeugend.

Nach dem Gefühl von Belohnung können wir Menschen „süchtig“ werden

Dieses angenehme und mitunter sogar süchtig machende Gefühl der Belohnung entsteht immer dann, wenn eines oder mehrere unserer Bedürfnisse befriedigt werden. Diese Befriedigung erzeugt also ein Gefühl von Zufriedenheit, Glück, Freude u.a. Und die Erwartung, dass wir durch unser Handeln voraussichtlich eines oder mehrere unserer Bedürfnisse befriedigen können, treibt uns dazu an, zu handeln. Die Motivation für unser Verhalten ist also die Erwartung, dass wir durch unser Handeln in einen angenehmen Zustand versetzt werden. Und damit für unser Verhalten belohnt werden.

Motivation ist die Voraussetzung für unser Handel

Die Existenz eines Belohnungszentrums in unserem Gehirn und die Entstehung von Motivation durch Belohnungserwartung, ist schon seit fast 70 Jahren bekannt und zwischenzeitlich sehr umfangreich und zuverlässig untersucht worden. Dennoch haben diese für die Arbeit mit Menschen so fundamental wichtigen Erkenntnisse bisher leider nur wenig Bekanntheitsgrad und Anwendung in Schule, Bildung und Mitarbeiterführung gefunden.
Die Auswirkung hierfür sind allerorten zu beobachten insbesondere auch im Scheitern von Change-Projekten.

 

3. Mensch und Veränderung – unser Kohärenzgefühl

Bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hat Antonovsky erkannt, dass das Gefühl von Kohärenz ein wichtiger Schlüssel für die Gesunderhaltung von uns Menschen ist.
Die aktuelle Glücksforschung hat dieses Kohärenzmodell für die Erklärung der Entstehung von Glück erneut aufgegriffen. Damit wir Menschen glücklich, zufrieden und gesund sein können ist es nach diesem Modell erforderlich, dass wir die Welt um uns herum a. als verstehbar und erklärbar, b. als sinnhaft und c. als beeinflussbar erleben.

Damit die Betroffenen eines Veränderungsprozesses diesem Prozess zustimmen können, muss grundsätzlich auch erst einmal ein Kohärenzgefühl bei ihnen entstehen. Die Betroffenen eines Change-Projektes müssen die Notwendigkeit und den Ablauf der Veränderung verstehen können. Sie müssen diese als sinnvoll erleben. Und sie müssen das Gefühl haben, dass sie Einfluss auf den Veränderungsprozess nehmen können.

Ohne Kohärenzgefühl kann ein Change-Projekt nicht gelingen

Wenn also ein Management den Abteilungen A und B Anfang März eines Jahres mitteilt, dass Anfang April diese beiden Abteilungen aus Kostengründen zusammengelegt werden. Und dass die Mitarbeiter doch bitte Ende März in die neuen Räumlichkeiten umziehen sollen. Wenn die Betroffenen der Veränderung auf diese sehr knappe Art mit der Veränderung konfrontiert und dazu aufgefordert werden, sind alle drei Voraussetzungen a.-c. für ein Kohärenzgefühl nicht erfüllt.

Die betroffenen Mitarbeiter verstehen die Notwendigkeit der Veränderung nicht. Und sie erkennen Keinen Sinn in ihr. Und sie haben keinerlei Einfluss auf die Planung und Gestaltung des Veränderungsprozesses. Sie werden also unzufrieden und verärgert sein. Und der Widerstand von vielen von ihnen gegen diesen Veränderungsprozess wird hoch sein.

 

4. Wie können wir unsere Veränderungsbereitschaft erhöhen?

Um diese Frage zu beantworten, soll hier eine einfache Formel für Veränderungsbereitschaft als Grundlage genutzt werden.

Diese lautet: „Veränderungsbereitschaft = erwarteter Gewinn/Belohnung – erwartete Kosten (a+b+c)“. Leicht zu erkennen ist mit Hilfe dieser Formel, dass Menschen für eine Veränderung erst dann bereit sein werden, wenn der erwartete Nutzen/Gewinn der Veränderung höher ist als die erwarteten Kosten. Die Differenz aus beiden, der Wert für Veränderungsbereitschaft muss also positiv sein.

Kostenverringerung und Gewinnerhöhung steigert unsere Veränderungsbereitschaft

Wie können die Verantwortlichen eines Veränderungsprojektes nun aber die Bereitschaft der Beteiligten für die Veränderung erhöhen? Wie kann ein möglicherweise zunächst negativer Wert für Veränderungsbereitschaft ins Positive verbessert werden?

Dies kann auf zweierlei Art erreicht werden. Zum einen, indem die erwarteten Kosten der Veränderung gesenkt werden. Und zum anderen, indem die erwartete Belohnung erhöht wird. Sinnvollerweise sollte unbedingt an beiden Stellschrauben gedreht werden, wenn die Veränderungsbereitschaft für ein Change-Projekt erfolgreich erhöht werden soll.

Der erste wesentliche Kostenfaktor ist die Energie, die Veränderung benötigt.

Der erste wichtige Kostenfaktor von Veränderung ist, wie bereits bei Regel 1 dargestellt, die Energie die Veränderung benötigt. Und an dieser Stelle sagt unser Gehirn zunächst einmal: „Nein, das muss verhindert werden!“. Das Erlernen neuer Verhaltensweisen und Kompetenzen erfordert umfangreiche Umstrukturierungen in unserem Gehirn. Die Änderungen von jahrelang bestehenden Gewohnheiten und damit automatisierten Abläufen ist ebenfalls mit deutlich mehr Aktivität des Gehirns verbunden. Für Lernprozesse jeder Art benötigt unser Gehirn aber deutlich mehr Energie als im Ruhezustand.

Wie kann der Energieverbrauch unseres Gehirns reduziert werden?

Ohne Zweifel müssen die für das Gelingen von Veränderungen notwendigen Lernprozesse deshalb optimiert werden. Es sollten vor allem erprobte Lernmethoden angewendet werden. Diese sollten klar strukturiert, effizient aber auch attraktiv sein. Lernen gelingt dann immer am besten, wenn Lernen Spaß macht und die Teilnehmer,-innen motiviert sind.

Zum Erlernen neuer Kompetenzen, Verhaltensweisen und Gewohnheiten sollten Teamtrainings, Workshops und für die Schlüsselpersonen bei Bedarf auch Einzelcoachings eingesetzt werden.

Neben der Verringerung des Energieverbrauchs und damit der Kosten von Veränderung haben solche Lernangebote auch noch einen zweiten nützlichen Effekt. Wichtige Bedürfnisse der betroffenen Mitarbeiter werden befriedigt. Und damit wird neben der Kostenreduzierung auch noch der Gewinn=Anreiz für Veränderung erhöht. Die Bedürfnisse nach Team/Gemeinschaft, Unterstützung, Aufmerksamkeit/Wertschätzung und Weiterentwicklung werden durch geeignete Lernangebote befriedigt. Hierauf wird weiter unten noch ausführlicher eingegangen.

Veränderung sind oft sehr unangenehm. Auch das verursacht Kosten.

Der zweite wichtige Kostenfaktor von Veränderungen entsteht, weil Veränderungen für die Betroffenen oft sehr unangenehm sind. Sie müssen ihre Komfortzone verlassen, in der sie sich vertraut, sicher und angenehm fühlen. Ganz zentrale Bedürfnisse von uns Menschen werden bei Verlassen dieser Komfortzone weniger oder gar nicht mehr befriedigt. Die Bedürfnisse nach Stabilität, Kontrolle, Vorhersagbarkeit, Sicherheit, Vertrautheit u.a.

Aber auch liebgewonnene Gewohnheiten und Strukturen müssen bei Veränderungen aufgegeben werden. Und zu jeder Veränderung gehört immer auch das Risiko, dass der erreichte Zustand nach dem Veränderungsprozess schlechter ist als der Zustand davor.  Durch das Verlassen der Komfortzone entstehen also in einem Veränderungsprozess bei uns Menschen eine Vielzahl sehr unangenehmer Gefühle wie: Angst, Ärger, Unsicherheit, Trauer, Resignation, Ohnmacht, ausgeliefert sein.

Unser Gehirn versucht aber solche unangenehmen Gefühle und Zustände zu vermeiden. Auch deshalb mögen viel Menschen Veränderungen nicht.

Wie Können Veränderungsprozesse für die Betroffenen angenehmer gestaltet werden?

Um diesen zweiten großen Kostenfaktor von Veränderung zu reduzieren ist es dringend erforderlich, dass bei den Betroffen das bereits beschriebene Kohärenzgefühl entsteht. Die Veränderungsprozesse sollten also so vorbereitet, gestaltet und durchgeführt werden, dass die Beteiligten sie a. verstehen können, sie b. für sinnvoll erachten und c. auf Planung und Ablauf der Prozesse Einfluss nehmen können.  Auf diese Art werden wichtige Bedürfnisse der Beteiligten befriedigt und unangenehme Gefühle reduziert.

Ein Kohärenzgefühl entsteht bei den Betroffenen u.a. durch Transparenz, gemeinsame Gespräche, Beteiligung an der Planung, Berücksichtigung von Vorschlägen und Wünschen, ein angemessen großes Zeitbudget für Vorbereitung und Durchführung von Veränderung. Und natürlich sind klare Strukturen und vorgegebene „Leitplanken“, innerhalb derer die Betroffenen auch selbst kreativ werden können, sehr wichtig.

Ein Veränderungsprojekt wird zum Projekt der Beteiligten

Die Betroffenen der Veränderung also die Mitarbeiter einschließlich der Schlüsselpersonen werden so in den Mittelpunkt des Change-Projektes gerückt. Die für das Gelingen eines Veränderungsprojektes notwendige Prozess-, Projekt-, Zielplanung und der Einsatz von technischen Hilfsmitteln wird so in den Dienst der Menschen gestellt und nicht umgekehrt. Die beteiligten Mitarbeiter werden zu Handelnden. Das Change-Projekt wird nach ihrem Erleben zu ihrem eigenen Projekt und ist nicht ein fremdgesteuertes Projekt. Ein Projekt, in das sie sich „hineingedrängt“ oder im schlimmsten Fall sogar „hineingezwungen“ fühlen.

Unsere Haltung zueinander macht den entscheidenden Unterschied

Diese Art von Veränderungsmanagement erfordert von den Verantwortlichen eine Haltung von Empathie, Mitgefühl, Achtsamkeit, Verständnis, ernst nehmen, Wertschätzung, Respekt u.a. Eine solche Haltung und die bereits oben beschriebene Denk-, und Handlungsweise gehören bisher aber nicht zum Mainstream unternehmerischer Kultur und Praxis. Deshalb muss hier häufig erst ein Transformationsprozess der Entscheider und Verantwortlichen von Change-Projekten stattfinden.

Wenn Unternehmen aber die Erfolgsrate von Change-Projekten von aktuell niedrigen 25% anheben möchten, ist ein solcher Transformationsprozess unumgänglich.

5. Belohnung und Motivation sind eine wirkungsvolle Stellschraube für die Erhöhung unserer Veränderungsbereitschaft

Wie bereits weiter oben unter Regel 4 geschrieben, läuft nach Ansicht des renommierten Gehirnforschers Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth ohne Belohnung gar nichts. Und Gerhard Roth bezog sich bei dieser Aussage explizit auf das Gelingen von Veränderungsprozessen.

Um die Veränderungsbereitschaft der von Veränderung betroffenen Menschen zu erhöhen, sollte neben der bereits beschrieben Kostensenkung die Belohnung für Veränderung erhöht werden Was sind nun aber Belohnungen und damit Anreize für die Beteiligten in Veränderungsprozessen?

Motivation ist unsere Erwartung, dass wir für unser Handeln belohnt werden

Belohnung ist für uns Menschen zunächst einmal jeder innere Zustand, der sich angenehm anfühlt. Und diesen oben beschriebenen „magischen Cocktail“ an wohltuenden körpereigenen Substanzen in uns auslöst. Dieser Zustand und damit auch Belohnung entstehen immer dann, wenn ein oder mehrere für uns wichtige Bedürfnisse befriedigt werden. Die Motivation für unser Handeln ist demnach unsere Erwartung, dass durch eine bestimmte Verhaltensweise eines oder mehrere dieser Bedürfnisse befriedigt wird. Wir also für unser Handeln belohnt werden.

Die Befriedigung unserer Bedürfnisse ist der Motor für jede Veränderung

Welches sind nun wichtige menschliche Bedürfnisse? Hier wurden weiter oben ja bereits einige genannt. Es sind u.a. die Bedürfnisse nach Sicherheit, Vertrauen, Wertschätzung, Anerkennung, Gemeinschaft, Aufmerksamkeit, Verständnis, Selbstbestimmung, Freiheit, Bedeutung. Die Gewichtung dieser Bedürfnisse und damit deren Bedeutung für die Motivation von Mitarbeitern schwankt mitunter aber deutlich von Mensch zu Mensch.

Dennoch zeigen Untersuchungen und praktische Erfahrungen in der Interaktion mit Menschen, dass viele Menschen in unserem Kulturraum gleichermaßen folgende Bedürfnisse als wichtig erleben: Die Bedürfnisse nach Sicherheit, wahrgenommen und ernst genommen werden, Verständnis, Akzeptanz und Wertschätzung. Wie weiter oben bereits beschrieben, werden aber gerade diese Bedürfnisse der Beteiligten in Change-Projekten häufig zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Das Scheitern eines Change-Projektes ist in solchen Fällen folgerichtig nicht verwunderlich.

Wie kann die Belohnung und damit der Anreiz für Veränderungen erhöht werden?

Sicherlich ist die Fähigkeit, die Belohnungserwartung und damit die Motivation der Beteiligten von Change-Projekten zu steigern, eine besonders wertvolle Kompetenz der Verantwortlichen für Veränderung. Wir können sogar sagen, dass die Fähigkeit, zu motivieren, eine Art besonderer „Kunst“ ist.

Wie schon unter Regel 4 beschrieben wird dem Faktor Motivation und Motivationssteigerung in allen Bereichen von Erziehung, Bildung und Arbeit aber leider immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. Dies ist dringend zu ändern, da wir für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen und damit Veränderungen viel Kreativität, Engagement und Entschlossenheit der Beteiligten benötigen. Und diese sind ohne hohe Motivation nicht verfügbar.

Motivation kann nicht von außen „Injiziert“ werden

Wie kann nun aber Belohnung, Belohnungserwartung=Motivation bei Mitarbeitern in einem Veränderungsprozess gesteigert werden? Ganz wichtig ist hierfür zunächst einmal die Tatsache, dass dies nur im Teamwork zwischen Mitarbeitern und Schlüsselpersonen geschehen kann. Denn Motivation entwickelt sich in uns Menschen drin und kann nicht von außen injiziert werden.

Ganz wichtig ist es, die Bedürfnisse der beteiligten Mitarbeiter zu kennen

Die Verantwortlichen für Change-Projekte können die beteiligten Mitarbeiter bei deren Motivationssteigerung unterstützen, indem sie folgende Verhaltensempfehlungen nutzen: a. Sie lernen zunächst einmal die jeweilige, individuell unterschiedliche Bedürfnisstruktur der Beteiligten kennen. Dies erfordert tatsächlich ein erhöhtes Maß an Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen bei den Verantwortlichen. b. Auf diese Art entwickeln die Verantwortlichen des Change-Projektes einen Einblick in die Bedürfnisse, die für die einzelnen Beteiligten der Veränderung besonders wichtig sind. Diese Kenntnis nutzen sie, um den Beteiligten zu zeigen, wie diese für sie wichtigen Bedürfnisse im Projekt befriedigt werden können. c. Indem also die Verantwortlichen des Projektes den Beteiligten glaubhaft aufzeigen, welche ihrer Bedürfnisse im Veränderungsprozess befriedigt werden können, bieten sie diesen einen Anreiz für die Mitarbeit im Projekt an.

Die erfolgreiche Motivation von Menschen ist eine besondere „Kunst“

Mit Hilfe dieser einfühlsamen Kommunikation mit den Betroffenen der Veränderung unterstützen die Verantwortlichen des Change-Projektes die beteiligten Mitarbeiter, Ihre Erwartung auf Befriedigung wichtiger Bedürfnisse im Verlauf des Change-Prozesses und damit ihre Motivation für die Mitarbeit zu steigern oder überhaupt erst zu entwickeln.

Wie bereits beschrieben, ist die erfolgreiche Unterstützung von Mitarbeitern bei der Steigerung ihrer Motivation eine besondere Kompetenz, eine Art „Kunst“ der Verantwortlichen eines Veränderungsprozesses. Und diese Kunst kann nur gelingen, wenn die Mitarbeiter auch „mitmachen“, sich also an diesem Prozess der Motivationssteigerung beteiligen.

Ohne Belohnungserwartung=Motivation gelingt kein Veränderungsprozess

So wichtig die Verringerung der Veränderungskosten für die Steigerung der Veränderungsbereitschaft natürlich ist, ohne die Erwartung auf eine Belohnung, ohne Motivation der betroffenen Mitarbeiter wird kein Change-Projekt gelingen. Es lohnt sich also, dass Unternehmen sich auf den Weg machen, die Motivation von Mitarbeitern ernster zu nehmen. Und nach und nach die Fähigkeit zu entwickeln, die Motivation von Mitarbeitern gemeinsam mit diesen zu erhöhen.

6. Einige abschließende Impuls

a. Als einer der ersten Schritte sollten in einem Change-Projekt die Schlüsselpersonen also die Entscheider und Führungskräfte motiviert werden. Denn ein Streichholz, der nicht brennt, kann kein Feuer entzünden

b. Die geplante Veränderung ist ein Team-Projekt. Die beteiligten Mitarbeiter werden zu verantwortlichen Akteuren im Projekt. Das Change-Projekt ist ein gemeinsames Projekt aller Beteiligten

c. Trotz aller sinnvollen und notwendigen Technisierung sind die Menschen immer noch der Schlüssel für das Gelingen von Veränderung. Ohne ihr Mitwirken läuft gar nichts

d. Nur mit ausreichender Motivation beteiligen sich Mitarbeiter nachhaltig an Veränderungsprojekten

e. Der Mensch im Mittelpunkt eines Veränderungsprojektes erfordert Know-how, Zeit und Geld. Aber das Scheitern eine kostenintensiven Veränderungsprojektes und das Ausbleiben einer für das Unternehmen eventuell sogar existentiell wichtigen Veränderung ist deutlich teurer.

 

Empfehlenswerte Literatur zu diesem Thema:

Roth, G., 11. Auflage: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Stuttgart 2016

Roth, G. / Strüber, S.: Wie das Gehirn die Seele macht, Stuttgart 2014

Roth, G.: Bildung braucht Persönlichkeit, Stuttgart 2011

Roth, G. / de Haan, G.: Interview von Ferdinand Knauß, WirtschaftsWoche, 16.02.2013

Roth, G. / Ryba, A.: Coaching, Beratung und Gehirn, Stuttgart 2016

Esch, T., 3. Auflage: Die Neurobiologie des Glücks, Stuttgart 2017

Esch, T.: Der Selbstheilungscode, Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit, 2018

Esch, T. / Esch, S.M., 2. Auflage: Stressbewältigung, Berlin 2016

Habits, M.: Die Macht der Gewohnheit: Warum wir tun, was wir tun, 2013

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„Bauch und Kopf“

„Bauch und Kopf“

„Bauch und Kopf“

 Gedanken zu einem ewig jungen menschlichen Konflikt   „Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein. Und zwischen den beiden steh' ich. Zwischen den beiden steh' ich.“ Mark Forster und sein Song „Bauch und Kopf“ Fast jeder von uns kennt diesen...
 Gedanken zu einem ewig jungen menschlichen Konflikt

 

„Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein.
Und zwischen den beiden steh‘ ich.
Zwischen den beiden steh‘ ich.“

Mark Forster und sein Song „Bauch und Kopf“

Fast jeder von uns kennt diesen wunderbaren Song von Mark Forster „Bauch und Kopf“ und den Text des Refrains. Diesen Song, in dem Mark Forster den ewig jungen, immer wiederkehrenden Konflikt zwischen zwei ganz starken gegensätzlichen Triebfedern in uns beschreibt.
Diesen beiden Instanzen, die sich so oft scheinbar ganz unversöhnlich gegenüberstehen.
Und immer wieder einen Konflikt in uns entfachen, der uns nicht selten an den Rand der Verzweiflung bringt. Immer dann, wenn wir eine Entscheidung treffen müssen.

Ein ewig junger Konflikt, der uns nie loslässt

Bauch versus Kopf, Bauchentscheidung versus Kopfentscheidung ist ein Thema unseres menschlichen Seins, das nahezu alle Menschen unter diesem „Titel“ gut kennen. Und in ihrem Leben mitunter tagtäglich erleben.
Tatsächlich wissen wir aber mittlerweile aus der Gehirnforschung sehr gut, dass dieser immer wiederkehrende Konflikt zwischen diesen beiden Entscheidungsimpulsen menschlich gesehen leider unvermeidlich ist und zu uns Menschen dazugehört. Und wir wissen auch, dass die Bereiche unseres Körpers, die in diesem Konflikt sowohl den „Kopf“ als auch den „Bauch“ repräsentieren, tatsächlich beide in unserem Kopf, genauer gesagt, in unserem Gehirn verortet sind.

Wo finden unsere Kopfentscheidungen statt?

Für das, was wir „Kopfentscheidung“ nennen, sind Areale und neuronale Netzwerke der 6 äußeren Schichten unserer Großhirnrinde verantwortlich. Wir nennen diesen Bereich des Gehirns, der die Oberfläche unseres Gehirns bildet, auch Isocortex.
Im Vier-Ebenen-Modell von Gerhard Roth (siehe auch mein entsprechender Blogbeitrag) ist dieser Bereich des Gehirns mit der vierten Ebene also mit dem „kognitiv-kommunikativen Ich“ unserer Persönlichkeit identisch. Dies ist der Bereich unseres Bewusstseins.

Worüber wir Menschen uns definieren – unsere kognitiven Fähigkeiten

Die für unser Selbstverständnis, unseren Selbstwert und oft auch für unser Ego als Menschen für viele von uns so extrem wichtigen kognitiven Fähigkeiten finden auf dieser Ebene unserer Persönlichkeit statt. Und zwar im Stirnteil des Isocortex, dem präfrontalen Cortex.
Der präfrontale Cortex ist auch der Sitz unseres Arbeitsgedächtnisses. Dieses ist von der Funktion her vergleichbar mit dem Arbeitsspeicher eines Computers.
Unser Arbeitsgedächtnis brauchen wir, um Informationen, die wir von Außen über die Sinnesorgane aufnehmen mit ausgewählten Inhalten aus dem Langzeitgedächtnis in Verbindung zu bringen. Auf diese Art können wir unser erlerntes Wissen und unsere Erfahrungen aus dem Langzeitgedächtnis in Wechselwirkung mit der aktuellen Realität bringen. Um in diesem Prozess zu analysieren, zu bewerten und dann bewusste Entscheidungen zu treffen.

Vernunft und Gefühlskälte liegen im Gehirn eng beieinander

So können wir Menschen im präfrontalen Cortex Ziele und Pläne für unser Handeln entwickeln, Probleme analysieren und Lösungen finden. Dieser Bereich des Gehirns ist Sitz unserer Vernunft, unseres kritischen Verstandes und unseres analytischen Denkens.
Gleichzeitig ermöglicht uns diese Ebene unserer Persönlichkeit aber auch vollkommen gefühlskalt anderen Menschen Unrecht und Schaden zuzufügen. Und ohne erkennbare emotionale Beteiligung über das Leid und Elend von Menschen zu reden und auch über deren Schicksal zu entscheiden.

Wir sind von Natur aus fähig, Schlechtes zu tun

Dass immer mehr Menschen anderen Menschen und der Natur in zunehmenden Maße Unrecht antun, ist also eine natürliche basale Fähigkeit von unserem menschlichen Gehirn. Und damit auch von uns Menschen selbst. Allerdings sind wir Menschen aber auf der anderen Seite in der Lage, diese Art von menschenverachtendem Verhalten bewusst zu unterlassen. Wenn es unserem Wertesystem widerspricht und unsere Werte stark genug in uns ausgeprägt sind.
Gehirnforscher sagen, dass unser Gehirn von Natur aus in erster Linie sozial ist. Wir sollten diese natürliche Vorabeinstellung unseres Gehirns öfter nutzen! Wir entscheiden über unser Verhalten.

So tun als ob gehört zum Standardrepertoire unseres Gehirns

Das kognitiv-emotionalen Ich also die 4. Ebene unserer Persönlichkeit befähigt uns auch, zu lernen, wie wir uns verhalten müssen, um anderen Menschen zu gefallen, sowie um Ärger und Konflikte zu vermeiden. Dieser äußere Bereich unserer Großhirnrinde macht es möglich, die Unwahrheit über unser tatsächliches Denken, Fühlen und Befinden zu sagen, also „so zu tun“ als ob. Unauthentisches d.h. unechtes Verhalten entsteht somit auf dieser Ebene unserer Persönlichkeit. Und es gehört somit ebenfalls zu unserem Standrepertoire als Menschen.

Am Ende ist unsere Vernunft oft der Verlierer

Das kognitiv-kommunikative Ich als Sitz unserer Vernunft kann als intelligenter Berater der in den anderen drei limbischen Ebenen unserer Persönlichkeit angesiedelten Gefühle und Bedürfnisse verstanden werden.
Dieser analytische, rationale Teil unseres Gehirns, unsere Vernunft also, hat aber weder anatomisch noch funktional einen direkten Einfluss auf die verhaltenssteuernden Gehirnzentren. Und somit haben unsere Vernunft und unsere Einsicht nur einen geringen Einfluss auf unser Verhalten.
Unser Verhalten wird letztendlich also im Wesentlichen durch die 3 darunterliegenden limbischen Ebenen unserer Persönlichkeit bestimmt. Und damit durch unsere Gefühle, Bedürfnisse und unser Temperament.

Unser Reden und Handeln sind nicht zwangsläufig identisch

Wir erleben diese Tatsache an uns selbst und an anderen Menschen häufig in der Form, dass unser Reden und Denken nicht zwangsläufig identisch sind mit unserem Handeln.
Und dass wir uns aus Einsicht und Vernunft zwar bewusst für ein bestimmtes Verhalten entscheiden. Wir uns dann tatsächlich aber in der Realität ganz anders und oft sogar entgegengesetzt verhalten.
Menschen tun also oft etwas anderes als das, was sie vorher gesagt haben.
Wer von uns hat diese Erfahrung noch nicht gemacht und macht sie mitunter tagtäglich aufs Neue.

Können „Bauch“ und „Kopf“ je Freunde werden?

Das ist tatsächlich das Spannungsfeld des immer wieder von uns erlebten Konfliktes zwischen unserem „Kopf“ und unserem „Bauch“, wenn wir entscheiden müssen, wie wir uns verhalten sollen. Und wenn bei dieser Entscheidung unser „Kopf“ also unsere Einsicht und unsere Vernunft etwas anderes zu uns sagen als unser „Bauch“, d.h. unsere Gefühle und Bedürfnisse. Die dann tatsächlich oft sogar genau das Gegenteil von dem wollen, was unsere Vernunft uns rät.

Wo finden unsere „Bauchentscheidungen“ statt?

Der Teil dieses Konfliktes, den wir „Bauch“ nennen, befindet sich wie gesagt nicht im Bauch unseres Körpers, sondern ebenfalls im Gehirn. Und da vorrangig in der mittleren und der unteren limbischen Ebene unseres Gehirns. In diesem Bereich lokalisiert Gerhard Roth in seinem 4-Ebenen-Modell der Persönlichkeit das „unbewusst- emotionale Selbst“ = mittlere limbische Ebene und das „vegetativ-affektive Selbst“ = untere limbische Ebene (siehe auch mein entsprechender Blogbeitrag zum 4-Ebenen Modell von G. Roth).

Wenn unser Verhalten außer Kontrolle gerät

Auf der untersten limbischen Ebene ist u.a. unser Temperament festgelegt. Dieses bestimmt unsere elementaren, menschlichen Verhaltensweisen wie Angriffs- und Verteidigungsverhalten, Flucht, Erstarren, Aggressivität.
Wir alle kennen solche Situationen, in denen wir panische Angst bekommen, weil wir beispielweise einen Stock mit einer Schlange verwechselt haben. Und daraufhin, ohne nachzudenken, panikartig davonlaufen. Erst wenn wir dann in einem zweiten Schritt bewusst erkennen, dass es sich nur um einen Stock handelt und nicht um eine Schlange, wird unsere panische Angst aufgehoben. Und wir können unser Verhalten wieder bewusst steuern.

Was uns Menschen Spaß macht

Auf der mittleren limbischen Ebene unseres Gehirns also im „unbewusst-emotionalen Selbst“ unserer Persönlichkeit werden u.a. unsere grundlegende Emotionalität, unsere Belohnungserwartung sowie unsere generelle Motivation bestimmt. Dieser Bereich des Gehirns ist der Sitz unseres Belohnungs- und Belohnungserwartungssystems. Was uns Menschen Spaß macht, was uns ganz persönlich ein angenehmes Gefühl verschafft, ist hier festgelegt. Unsere Motivation, der Antrieb also für unser Handeln entsteht in diesem Bereich des Gehirns.

Jedes Jahr Silvester wieder „grüßt uns das Murmeltier“

Ein gutes Beispiel für die besondere Beziehung zwischen „Kopf“ und „Bauch“ also für das fehlende Zusammenspiel zwischen unserer Vernunft im präfrontalen Cortex und unseren Bedürfnissen in der mittleren limbischen Ebene sind die immer wiederkehrenden guten Vorsätze, mit denen wir an Silvester ins neue Jahr starten: „abnehmen“, „gesünder leben“, „weniger essen“, „mehr Sport machen“, „mit dem Rauchen aufhören“… Ich könnte diese Aufzählung vermutlich beinahe endlos fortsetzen!
Aber wer von uns hat ein solches Vorhaben dann im neuen Jahr tatsächlich konsequent erfolgreich zu Ende gebracht? Und nicht nach wenigen Wochen oder sogar Tagen schon wieder damit aufgehört? Ich glaube kaum einer von uns.

Warum sich unsere guten Vorsätze oft in Luft auflösen

Der Grund für dieses regelmäßige Scheitern solcher „guten Vorsätze“ liegt nicht darin, dass wir schlechte, unfähige Menschen oder sogar „Versager“ sind. Der Grund dafür, dass wir unsere guten Vorsätze nicht durchhalten, liegt an unserer fehlenden Motivation.
Wir nehmen uns an Silvester etwas richtig Vernünftiges vor, weil es uns in dem Moment ein gutes Gefühl gibt. Das ist dann unsere Motivation. Dieses gute Gefühl und damit unsere Motivation ist aber am nächsten Tag oder spätestens einiger Tage später wieder verflogen. Und dann gibt es für uns keinen wirklich guten Grund, also keine Motivation mehr, die uns antreibt, unsere guten Vorsätze bis zu Ende durchzuhalten.

Unsere Motivation hat viel mit unserem Bauchgefühl zu tun

Diese wirklich gute, dauerhafte Motivation kann tatsächlich nur aus unserem „Bauch“, also den unteren beiden limbischen Ebenen unseres Gehirns kommen. Eine starke Motivation entsteht durch ein starkes Bedürfnis gleich einem Verlangen, dessen Befriedigung eine attraktive Belohnung für uns ist. (siehe hierzu auch meinen 2. Beitrag von „Wie geht Mensch?“ über Motivation demnächst hier).
Unsere Einsicht und unsere Vernunft, unser „Kopf“ also, sind in diesem Zusammenhang nicht ganz wertlos, sie taugen aber überhaupt nicht dafür, uns wirkungsvoll zu motivieren. Uns also über längere Zeit anzutreiben, einen Vorsatz konsequent umzusetzen, ein Ziel erfolgreich zu erreichen.
Veränderungen, die nur auf Einsicht basieren und für die keine wirklich starke Motivation erarbeitet wurde, können somit nicht gelingen. Auch hierfür gibt es zahlreiche Beispiele in unserem Leben.

Wenn „Bauch“ und „Kopf“ am Ende Freunde werden

Wie können wir aber nun diese Erkenntnisse über die Funktionsweise unseres Gehirns und damit unsere Einsichten in die besondere „Bauch – Kopf“ Beziehung für unser Leben nutzen?
Auf den Punkt gebracht gelingt uns dies in meinen Augen nur, wenn wir kontinuierlich an einer „Bauch – Kopf Versöhnung“ arbeiten. Wenn wir uns also darin trainieren, die Impulse, die aus der unteren und mittleren limbischen Ebene, unserem „Bauch“, kommen mit den Erkenntnissen und Einsichten unseres kritischen Verstandes, unserem „Kopf“, in eine konstruktive Kooperation zu bringen. Wenn es uns also gelingt, aus der Rivalität zwischen „Bauch“ und „Kopf“ eine freundschaftliche Zusammenarbeit zu unserem Nutzen zu machen.

Wenn es in uns richtig „brennt“

Jeder von uns, der in seinem Leben bereits richtig herausfordernde Ziele erfolgreich erreicht hat, hat die Erfahrung gemacht, dass dies nur möglich war, weil es in ihm „gebrannt“ hat. Weil da ein starker Wunsch, ein Verlangen war, das uns immer wieder angetrieben hat, wenn es auf unserem Weg auch Mal schwierig wurde. Oder wenn wir nicht mehr weiterwussten. Und wir in diesen herausfordernden Situationen dann trotzdem nicht aufgegeben haben, weil unser Ziel uns so wichtig war und weil wir fest entschlossen waren, es zu erreichen.

Wie eine Freundschaft zwischen „Bauch“ und „Kopf“ aussehen kann

Dieses Feuer, dass wir für große Ziel brauchen, entsteht nicht in unserem „Kopf“ in unserer Einsicht und unserer Vernunft. Dieses Feuer brennt in unserem „Bauch“, in dem Bereich unseres Gehirns also, der für unsere Gefühle und Bedürfnisse verantwortlich ist.
In einer konstruktiven Kooperation zwischen „Bauch“ und „Kopf“ fängt das Feuer, unsere Motivation also, in unserem Bauch an zu brennen. Und unser „Kopf“ tritt dann in Aktion, wenn es darum geht das Feuer in uns, unser „Bauchgefühl“ in Worte zu fassen, unsere Ziele also festzulegen. Und um dann mit Hilfe von Informationsbeschaffung, Analysen, Bewertungen den wirkungsvollsten Weg zur Zielerreichung zu finden.

Ein schlechte und eine gute Nachricht zum Abschluss

Die schlechte Nachricht für einige von uns ist also: unser „Kopf“, unsere Vernunft und unsere kognitiven Fähigkeiten sind nicht das Wichtigste, das allein seligmachende in unserem Leben. Wir müssen unserem „Bauch“, unseren Gefühlen und Bedürfnissen als Orientierungshilfe und Motivator also wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung zukommen lassen. Und wir müssen uns dringend darin trainieren, diesen Bereich unserer Persönlichkeit, in der unser „Bauch“ verortet ist, besser kennen zu lernen und für unser lösungs- und zielorientiertes Handeln zu nutzen.

Die gute Nachricht ist: Dies ist tatsächlich möglich.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Vier-Ebenen-Modell unserer Persönlichkeit

Das Vier-Ebenen-Modell unserer Persönlichkeit

Das Vier-Ebenen-Modell unserer Persönlichkeit

von Roth, Strüber und Cierpka Gerhard Roth gilt als einer der führenden Neurowissenschaftler d.h. Gehirnforscher des deutschsprachigen Raumes. Mit Nicole Strüber und Manfred Cierpka gemeinsam entwickelte er das Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit. Hierzu siehe...
von Roth, Strüber und Cierpka

Gerhard Roth gilt als einer der führenden Neurowissenschaftler d.h. Gehirnforscher des deutschsprachigen Raumes. Mit Nicole Strüber und Manfred Cierpka gemeinsam entwickelte er das Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit. Hierzu siehe u.a: Roth, G. & Strüber, N. (2014), Wie das Gehirn die Seele macht. Und Roth, G. (2011), Bildung braucht Persönlichkeit.

Dieses Modell ist natürlich ein künstlich geschaffenes Konzept der Realität

Natürlich ist auch dieses Vier-Ebenen-Modell der Persönlichkeit nichts anderes als ein künstlich geschaffenes Konzept eines in der Realität um ein Vielfaches komplexeren Zusammenhanges. Aber dieses Modell bietet eine gute Basis, um die Entstehung der verschiedenen Persönlichkeiten, ihren Einfluss auf unser Verhalten und die Veränderbarkeit dieser Persönlichkeiten, d.h. unsere Persönlichkeitsentwicklung im Lebenslauf besser zu verstehen.

Welches sind die 4 Ebenen unserer Persönlichkeit?

Die von Roth, Strüber und Cierpka beschriebenen 4 Ebenen sind: 1. das vegetative-affektive Selbst = die untere limbische Ebene. 2. das unbewusste emotionale Selbst = die mittlere limbische Ebene, 3. das individuelle-soziale Ich = die obere limbische Ebene. Und 4. das kognitiv-kommunikative Ich. Diese 4 Ebenen unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihres Einflusses auf das menschliche Verhalten. Und bezüglich ihrer Veränderbarkeit im Erwachsenenalter und in Bezug auf den Zugriff durch das menschliche Bewusstsein.

1. Das vegetativ-affektive Selbst

Die unterste Ebene, das vegetative-affektive Selbst wird durch die limbisch-vegetative Grundachse des Gehirns repräsentiert. Hierzu gehören die mediale septale Region, die präoptisch-hypothalamische Region, die zentrale Amygdala, das zentrale Höhlengrau und die vegetativen Zentren des Hirnstamms (Mittelhirn, Brücke, verlängertes Mark).

Diese unterste Persönlichkeitsebene ist genetisch oder epigenetisch bedingt

Die unterste limbische Ebene ist angeboren, d.h. genetisch oder epigenetisch bedingt. Epigenetisch bedeutet, dass durch vorgeburtliche Einflüsse entweder aus der Umwelt direkt oder vermittelt über das eng verbundene Gehirn der Mutter eine teilweise Myelierung der beteiligten DNS-Stränge erfolgt. Dadurch werden nur bestimmte Abschnitte der DNS-Stränge der Gene bei der Ausbildung der an der unteren limbischen Ebene beteiligten Gehirnregionen aktiv.

Das vegetativ-affektive Selbst sichert unser biologisches Überleben

Die wichtigste Funktion dieser Hirngebiete ist die Sicherung der biologischen Existenz des Menschen durch die Regulation der lebenserhaltenden Körperfunktionen. Dazu gehören die Kontrolle des Stoffwechselhaushaltes, des Kreislaufes und des Blutdrucks. Die Temperaturregulation, die Regelung des Verdauungs- und Hormonsystems, der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie des Wachens und Schlafens.

Diese Ebene bestimmt unser individuelles Temperament

Weiterhin regelt die untere limbische Ebene auch das Temperament. Das heißt, sie legt die Art fest, wie Menschen grundlegend mit sich selbst und der Umwelt umgehen. Sie steuert also die elementaren menschlichen affektiven Verhaltensweisen und Empfindungen wie Angriffs- und Verteidigungsverhalten, Flucht, Erstarren, Aggressivität, Wut, Sexualverhalten.
Diese Antriebe und Affektzustände sind weitgehend genetisch bedingt. Der Mensch teilt sie also mit den Säugetieren und insbesondere den Primaten. Die Mechanismen dieser Ebene laufen als solche völlig unbewusst ab, bewusst werden sie nur über Erregungen, die von hier in die bewusstseinsfähige Großhirnrinde dringen.

Hier ist der Ort unserer grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale

Ebenso werden im vegetativ-affektiven Selbst grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit, Verschlossenheit, Selbstvertrauen, Kreativität, Vertrauen, Misstrauen festgelegt. Sowie Umgang mit Risiken, Pünktlichkeit, Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Optimismus und Pessimismus. Diese Ebene bestimmt also wie Menschen mit Schwierigkeiten und Risiken umgehen und wie sie dabei auftretenden Stress regulieren.

Diese Persönlichkeitsebene hat den größten Einfluss auf unser Verhalten und ist fast nicht veränderbar

Die unterste Ebene der menschlichen Persönlichkeit hat von allen vier Ebenen den stärksten Einfluss auf das Verhalten. Diese sehr große Beeinflussung des Verhaltens entsteht, weil die untere limbische Ebene direkt mit den verhaltenssteuernden Gehirnzentren verbunden ist.
Da die limbisch-vegetative Grundachse des menschlichen Gehirns gleich zu Beginn der Hirnentwicklung entsteht, ist sie durch Erfahrung, Erziehung und willentliche Kontrolle gar nicht oder nur sehr gering längerfristig zu beeinflussen.
Das heißt also, dass das menschliche Temperament und seine grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale angeboren sind und zeitlebens nur sehr gering aber eher gar nicht veränderbar sind.

2. Das unbewusste emotionale Selbst

Die zweite über dem vegetativ-affektiven Selbst angeordnete Ebene der Persönlichkeit ist das unbewusste, emotionale Selbst.
Diese Ebene wird in erster Linie durch die corticale, mediale und basolaterale Amygdala und durch das mesolimbische System also den Nucleus accumbens, das ventrale tegmentale Areal und die Substantia nigra repräsentiert.

Wie wir fühlen und was wir wollen, wird in unserer Kindheit schon sehr früh festgelegt

Die mittlere limbische Ebene entwickelt sich vor der Geburt und in den ersten Lebensjahren durch emotionale Erfahrung bzw. emotionale Konditionierung und frühkindliche Bindungserfahrung.
Das mesolimbische System selbst entwickelt sich bereits sehr früh während der vorgeburtlichen Hirnentwicklung. Seine Ausgestaltung wird dabei entweder direkt oder über das eng verbundene Gehirn der Mutter indirekt durch vorgeburtliche positive und negative Erfahrungen beeinflusst.
Durch die mittlere limbische Ebene werden unsere grundlegende Emotionalität, unsere Belohnungserwartung sowie unsere generelle Motivation bestimmt. In dieser Persönlichkeitsebene findet die unbewusste emotionalen Konditionierung elementarer menschlicher Funktionen und des individuellen emotionalen Lernens statt: die angeborenen Grundgefühle Furcht, Freude, Glück, Verachtung, Ekel, Neugierde, Hoffnung, Enttäuschung und Erwartung werden hier mit den täglich erfahrenen emotional negativen und positiven Erlebnissen der individuellen menschlichen Lebensumstände verknüpft.

Unsere Sympathie für andere Menschen entwickelt sich ganz unbewusst

Gleichzeitig ist die Amygdala der Ort der unbewussten menschlichen Wahrnehmung emotionaler, kommunikativer Signale der nonverbalen Kommunikation. Dazu gehören der Blick, die Mimik, Gestik, Körperhaltung und die Pheromone, also soziale Geruchssignale. Die Wahrnehmung und Bewertung dieser nonverbalen Signale spielen bei der Entwicklung von Sympathie und Antipathie eine wichtige Rolle. Die hier entwickelten Präferenzen sind teils erfahrungsbedingt und teils genetisch bestimmt.

Was uns antreibt, unsere Motivation wird von diesem Persönlichkeitsteil entschieden

Die zweite wichtige hirnorganische Struktur der mittleren limbischen Ebene und Interaktionspartner der Amygdala ist das mesolimbische System als Sitz des Belohnungs- und Belohnungserwartungs-systems. Alles, was Spaß macht, weil der Mensch für sein Tun zwischendurch und am Ende belohnt wird, wird durch das zerebrale Belohnungssystem mit Hilfe der Ausschüttung lusterzeugender Stoffe besonders Opioide und Cannabinoide bestimmt und gesteuert. Weiterhin ist das mesolimbische System das grundlegende Motivationssystem, das über die Ausschüttung von Dopamin Belohnung in Aussicht stellt.
Diese Ebene repräsentiert somit das egoistisch-egozentrische Kleinkind im Menschen. Hier wird festgelegt, was Menschen aufzusuchen und zu wiederholen haben, weil es mit Bedürfnisbefriedigung und Lust verbunden ist. Und was Menschen zu vermeiden und abzuwehren haben, weil es mit Bedürfnissteigerung, Schmerz und Unlust verbunden ist.

Selbstbild, Empathiefähigkeit und Persönlichkeitskern werden auf dieser Ebene unbewusst einprogrammiert

Die mittlere limbische Ebene bestimmt die unbewussten Anteile des menschlichen Selbst. Dabei entstehen die Grundstrukturen des Verhältnisses zu sich selber (=Selbstbild) und zu den Mitmenschen (=Empathiefähigkeit). Diese Grundstrukturen sind das Ergebnis unbewusster oder nicht erinnerungsfähiger Lernprozesse. Und sie tragen positiv oder negativ zur Entwicklung der individuellen Beziehungsmuster bei.
Diese Ebene ist für das Psychische im Menschen die entscheidende Ebene sowohl für normale als auch krankhafte Entwicklungen. Zusammen mit der untersten limbischen Ebene, in der, wie oben beschrieben, das Temperament festgelegt ist, macht die mittlere limbische Ebene den Kern unserer Persönlichkeit aus. 

Ganz unbewusst hat diese Persönlichkeitseben den größten Einfluss auf unser Verhalten

Gleichzeitig haben die mittlere und untere limbische Ebene den größten Einfluss auf das menschliche Verhalten. Weil beide Teile direkt mit den verhaltenssteuernden Gehirnzentren verbunden sind.
Das unbewusste emotionale Selbst ist während der frühkindlichen Bindungserfahrung und frühen psychosozialen Prägung recht gut veränderbar. In der späten Kindheit und Jugend verlieren diese limbischen Zentren schnell ihre Lernfähigkeit. Die Grundzüge der Persönlichkeit sind nach dem 10. Lebensjahr bereits stabilisiert und lassen sich im Jugend- und Erwachsenenalter nur über starke emotionale und langanhaltende Einwirkung verändern.

3. Das individuell-soziale Ich

Die dritte Ebene der Persönlichkeit, die obere limbische Ebene, wird durch die limbischen also stammesgeschichtlich älteren Anteile der Großhirnrinde repräsentiert. Hierzu gehören der insuläre, der cinguläre, der orbitofrontale Cortex und der innen angrenzende ventromediale frontale Cortex.1, 2
Die obere limbische Ebene entwickelt sich in der späten Kindheit und Jugend durch Sozialisierung, Erziehung und durch bewusste soziale und emotionale Erfahrungen. Sie ist der menschliche Hirnteil, der die längste Reifezeit benötigt und erst im Alter von 16-20 Jahre einigermaßen ausgereift ist.

Wer wir als soziale Persönlichkeit sind, wird auf dieser Ebene festgelegt

Die obere limbische Ebene ist die Ebene der bewussten, überwiegend sozial vermittelten Emotionen. Hier kommt es zum bewussten emotional-sozialen Lernen von Gewinnen und Erfolgsstreben, Anerkennung, Ruhm, Freundschaft, Liebe, soziale Nähe, Hilfsbereitschaft, Moral und Ethik. In dieser Ebene werden zusammen mit den beiden unteren limbischen Ebenen grundlegende sozial relevante Persönlichkeitsmerkmale festgelegt. So wie Machtstreben, Dominanz, Empathie, Kommunikationsbereitschaft und die sozialverträgliche Verfolgung individueller Ziele.

Zuneigung, Hilfe und Wertschätzung anderer Menschen werden über diesen Persönlichkeitsbereich sicher gestellt

Weiterhin findet in diesem Persönlichkeitsbereich das Erlernen von Verhaltensweisen statt, die uns die Zuneigung, Achtung und Hilfe der Mitmenschen sichern. Der orbitofrontale Cortex ist der Sitz der Regeln moralischen und ethischen Verhaltens. Hier entwickeln sich also die Verhaltensweisen, die den Menschen die Zuneigung, Unterstützung und Wertschätzung ihrer Mitmenschen bzw. der Gesellschaft zusichern.

Das individuell soziale Ich steuert unsere Emotionen und unser Impulse

Der orbitofrontale und der ventromediale Cortex haben eine kontrollierende, impulshemmende Funktion gegenüber der unteren limbischen Ebene der starken Affekte. Und gegenüber den egoistisch, infantilen Antrieben aus den Zentren der mittleren Ebene, also der Amygdala und des mesolimbischen System. Die Grundlage für diese Funktion sind die im Sozialisation- und Erziehungsprozess sozial vermittelten Erfahrungen. In diesem Bereich der oberen limbischen Ebene bilden sich die bewussten Anteile des Selbst und des affektiv emotionalen auch sozial vermittelten Ichs aus.
Läsionen im orbitofrontalen und ventromedialen Cortex haben zur Folge, dass die Fähigkeit, den sozial-kommunikativen Kontext, z.b. die Mimik von Gesichtern oder die emotionale Tönung der Stimme zu erfassen, verloren geht. Auch die in die Zukunft gerichtete Abschätzung der negativen oder positiven Konsequenzen der eigenen Handlung sind dann nicht mehr möglich.

Risikowahrnehmung, -bewertung und Schmerzempfinden findet auf dieser Ebene statt

Der vordere cinguläre Cortex hat mit seinem unteren Teil mit der Risikowahrnehmung und -bewertung und mit der Verknüpfung von Schmerzen mit Affekten zu tun. Dazu gehört insbesondere auch die Schmerzerwartung. Der obere Teil des cingulären Cortex ist für die kognitive Aufmerksamkeit und Fehlerüberwachung zuständig.1 Der insuläre Cortex ist der Verarbeitungsort der Schmerzempfindung, d.h. er bestimmt, wann und wie eine Verletzung der Körpers Schmerzen verursacht. Und er ist auch der Sitz der affektiv-emotionalen Eingeweidewahrnehmung des sogenannten Bauchgefühls.

Der Einfluss auf unser Verhalten und die Veränderbarkeit sind relativ groß

Das individuell-soziale Ich hat einen relativ großen Einfluss auf das Verhalten, allerdings in dem Rahmen, den ihm die Instanzen der dritten und vierten Ebene vorgeben.
Die Veränderbarkeit der oberen limbischen Ebene, das heißt also die Möglichkeit des Dazulernens ist in diesem Persönlichkeitsbereichs relativ groß allerdings nur durch sozial emotionale Erfahrungen und Einfluss aus der Umwelt.

4. Das kognitiv-kommunikative Ich

Den drei limbischen Ebenen steht kognitiv-sprachliche Ebenen gegenüber. Sie wird durch die Großhirnrinde im engeren Sinne also dem sechsschichtigen Isocortex repräsentiert.  Insbesondere im dorsolateralen präfrontalen Cortex befinden sich ausführende und handlungsvorbereitende Areale (Förstl 2002). Im linken präfrontalen Cortex befindet sich auch das Brocasche Sprachareal, welches dem Menschen das syntaktisch-grammatikalische Sprechen ermöglicht.

Zielentwicklung, Problemlösung, Aufmerksamkeit finden auf dieser Ebene statt

Das kognitiv-kommunikative Ich entwickelt sich ab dem 4. Jahr bis ins hohe Alter.
Der präfrontale Cortex ist Sitz des Arbeitsgedächnisses und der von Vorerwartungen gelenkten Aufmerksamkeit. Er hat mit der zeitlich-räumlichen Strukturierung von Sinneswahrnehmungen und dem planvollem, kontextgerechten Handeln und Sprechen zu tun. Individuelle und gemeinschaftliche Ziele werden in diesem Teil des Gehirns entwickelt.
Das kognitiv-kommunikative Ich ist auch die Ebene des rationalen Ichs, der Intelligenz und des Verstandes. Auf dieser Persönlichkeitsebene findet die Erfassung und Überprüfung der menschlichen Realität statt. Außerdem findet hier eine Problemlösung und die an einem Zweck, Ziel ausgerichtete Planung des menschlichen Handelns statt.  

Unser rationaler Verstand und Vernunft haben nur wenig Einfluss auf unsere Moral und unsere Gefühl 

Das kognitiv-kommunikative Ich hat nur geringen Einfluss auf die drei limbischen Ebenen einschließlich des orbitofrontalen und ventromedialen Cortex als Sitz für moralisch-ethische Kontrolle, Risikobewertung und Gefühlskontrolle. Der umgekehrte Einfluss dagegen kann sehr stark sein. Das führt dazu, dass vernünftige Ratschläge und Einsichten alleine nicht in der Lage sind, Menschen nachhaltig zu beeinflussen. Während die Emotionen insbesondere der Stress starken Einfluss auf das menschliche Denken und Entscheiden hat.1
Die insbesondere im präfrontalen Cortex verankerte Vernunft, Sachlichkeit und Analyse der Realität kann als intelligenter Berater der im limbischen Bereich angesiedelten Emotionen und Bedürfnisse verstanden werden, die dann aber letztendlich über das menschliche Verhalten entscheiden.

Hier ist die Basis für Gefühlskälte und Inauthentizität

Mit Hilfe des präfrontalen Cortex kann der Mensch auch ganz rational und gefühlskalt Abstand von ansonsten stark emotionalisierenden Ereignissen nehmen und sich sachlich, analytisch mit ihnen auseinandersetzen. Das Ausmaß dieser Fähigkeit ist Persönlichkeitsabhängig. Schließlich ermöglicht diese einseitige, besondere Beziehung zwischen unterem und oberen Stirnhirn auch, dass Menschen zwischen dem wie sie sich selbst fühlen und was sie über sich denken und dem was sie anderen mitteilen trennen. Beides kann völlig auseinandergehen.

Um anderen zu gefallen, können wir so tun als ob

Das kognitiv-kommunikative Selbst ermöglicht dem Menschen, zu lernen, wie er sich darstellen muss, um zu gefallen und seine Ziele anderen Menschen gegenüber zu realisieren. Dabei können Menschen sich in bestimmter Weise anderen Menschen gegenüber so darstellen, es ihnen am günstigsten erscheint, ohne das dem etwas auf den drei limbischen Ebenen entsprechen muss. Hier findet im gezeigten Verhalten also ein Verstellen oder sogar Lügen hinsichtlich der tatsächlichen Befindlichkeit statt.

Diese Ebene hat keinen direkten Einfluss auf unsere Verhaltenssteuerung

Das kognitiv-kommunikative Ich hat weder anatomisch noch funktional einen Einfluss auf die verhaltenssteuernden Gehirnzentren und die drei limbischen Zentren. Diese wiederum bestimmen durch ihre direkte Einwirkung auf diese Zentren, wie schon beschrieben, das menschliche Verhalten entscheidend. Reden und Denken sind eben nicht zwangsläufig identisch mit dem Handeln.
Die Veränderbarkeit des kognitiv-kommunikativen Ichs ist lebenslang groß meistens durch sprachliche Kommunikation.