Die Angst vor uns selbst
23.11.16, 0.30 Uhr, Bad Vilbel, bei mir zu Hause in meinem Apartment
Was hält uns davon ab, uns mit uns selbst zu beschäftigen, uns selbst anzuschauen, uns wahrzunehmen und uns kennenzulernen? Was hält uns davon ab, uns ernsthaft, aufrichtig, ehrlich zu betrachten? Hinzuschauen, wer wir sind, welche Gefühle und Bedürfnisse wir haben, welche Einstellungen uns lenken und steuern?
Es gibt kaum etwas Wichtigeres in unserem Leben als unsere Bedürfnisse und Einstellungen, weil sie uns motivieren, das heißt, in Bewegung, ins Handeln bringen. Und weil sie die Richtung, in die wir uns bewegen, also wie wir handeln, maßgeblich steuern. Und diese Steuerung durch unsere Bedürfnisse und Einstellungen geschieht immer, unabhängig davon, ob wir uns unserer Einstellungen und Bedürfnisse bewusst sind oder nicht.
Was hält uns also wirklich davon ab, uns kennenzulernen und damit die Grundlage dafür zu schaffen, dass wir uns bewusst und damit gezielt entscheiden, verhalten und weiterentwickeln können. So dass wir mehr aus unserem Leben machen können, uns also ein Leben erschaffen können, in dem wir zufriedener, friedlicher, selbstbewusster, erfolgreicher und erfüllter leben als jetzt.
Der Wert und der Nutzen dieser Arbeit, uns selbst kennenzulernen, kann nicht größer sein. Denn alles, was wir in unserem Leben tun, erleben, entscheiden und käuflich erwerben, gewinnt ungeheuer an Befriedigung, Spaß und Wirksamkeit, wenn wir vorher mit uns selbst Frieden geschlossen haben, also zu uns nach Hause gefunden haben. Und dies gilt auch dann, wenn wir uns unserer Motivation für unsere Handlungen und der Handlungen selbst nicht bewusst sind. Was hält uns also davon ab, diese unglaubliche Verbesserung unserer Lebensqualität und damit diesen Gewinn in unserem Leben zu verwirklichen?
Ich glaube, was uns von diesem Weg, diesem Prozess abhält, ist vor allem auch die Angst vor der Nähe zu uns selbst. Die Angst vor dem Ungewissen, dem Neuen, das in uns steckt. Die Angst also vor dem, wer wir wirklich sind und was uns ausmacht, was wir aber noch nicht kennen; dem wir aber begegnen würden, wenn wir uns kennen lernen und uns damit näherkommen würden.
Und dann ist da natürlich auch unsere große Angst vor Veränderungen überhaupt, vor dem Verlust von Vertrautem, die uns von dem Weg der Selbsterkenntnis abhält. Wir sind selten wirklich zufrieden mit uns selbst und unserem Leben, aber wir haben uns an diesen Zustand gewöhnt. An die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten, die eigentlich nicht sein müssten. An die Ängste, die Unzufriedenheit, die ungestillten Bedürfnisse, die eigentlich nicht sein müssten. An die Schmerzen und die Krankheiten, die wir tatsächlich auflösen könnten, die also nicht sein müssten.
Wir haben uns an all das gewöhnt und es ist uns vertraut geworden. Und an dieser Stelle haben wir Angst, das Vertraute zu verlieren, wenn wir uns mit uns selbst beschäftigen und uns kennenlernen. Und uns unserer selbst bewusst werden. Wir fühlen uns ein Stück weit zu Hause und sicher, so wie es gerade bei uns ist. Wir sind nicht wirklich zu Hause bei uns selbst, aber wir fühlen uns zu Hause in den uns vertrauten und gewohnten Lebensumständen, sogar wenn wir unter ihnen leiden. Wir haben Angst, diese Vertrautheit und Sicherheit zu verlieren und Angst vor dem, was wir an dessen Stelle entdecken könnten. Gefühle und Bedürfnisse, die wir vorher nicht kannten: das Alleinsein, die Einsamkeit, den Wunsch nach Geborgenheit, Wärme und Zuwendung. Die Leere und Sinnlosigkeit, die Fremdheit vor uns selbst, weil wir ein Leben lang an uns vorbei gelebt haben und uns nicht wirklich begegnet sind.
Und natürlich ist da unsere Angst, dass wir bei der Beschäftigung mit uns selbst entdecken, dass wir gar nicht der Mensch sind, für den wir uns die ganze Zeit gehalten haben. Dass das Bild, das wir uns irgendwie von uns gemacht haben, gar nicht stimmt. Mit der Gefahr, dass wir, nachdem wir uns kennengelernt haben, in unseren Augen schlechter sind als das Bild, das wir vorher von uns hatten. Aber auf der anderen Seite gibt es da natürlich auch die Chance, dass wir entdecken, dass wir tatsächlich viel wertvoller und besser sind, als wir das vorher dachten.
Und da ist vor allem die Angst vor unseren Gefühlen, die wir nicht mögen und die uns unangenehm sind. Und wir haben natürlich Angst, dass diese Gefühle stärker werden und uns möglicherweise überrollen, überwältigen, wenn wir uns für sie öffnen und sie zulassen. Diese Gefühle wie Wut, Neid, Eifersucht, Angst, Verzweiflung, Unsicherheit, Selbstzweifel, Wertlosigkeit, Ohnmacht, ausgeliefert sein, Schmerz, Trauer. Dies sind alles Gefühle, die kaum einer von uns mag und die wir lieber nicht wahrnehmen, lieber verdrängen, von denen wir uns gerne wie auch immer ablenken. Wir sind froh, wenn diese Gefühle offenbar gerade nicht da sind, wir sie nicht spüren. Aber wenn sie tatsächlich doch da sind, ohne dass wir sie zulassen, wahrnehmen und vor allem dann auch ausdrücken, dann blockieren diese verdeckten Gefühle uns in unserem Selbstausdruck, unserer Lebenskraft und unserem Wohlbefinden.
Es ist also ein Deal, den wir auf dies Art mit uns machen, der uns aber nicht die für unser Leben erhofften Vorteile bringt. Denn der Gewinn, den wir haben, wenn wir uns auf uns selbst einlassen und eine freundschaftliche Beziehung zu uns aufbauen, ist deutlich größer als der Nutzen, den uns das Festhalten an dem Gewohnten bringt.
Und was uns auch noch davon abhält, uns auf uns einzulassen, ist dann natürlich noch unsere große Angst vor unseren Bedürfnissen. Diesen Bedürfnissen, die allerdings sowieso da sind und uns bei unseren Entscheidungen und Handlungen steuern und lenken, ob wir sie nun bewusst wahrnehmen und kennen oder nicht. Diese Bedürfnisse, die sowieso dafür verantwortlich sind, dass wir uns in Bewegung setzen und handeln und Entscheidungen treffen. Und wenn unsere Bedürfnisse uns in unserem Leben sowieso steuern, ist es dann nicht besser, wenn wir sie kennen? Ist es nicht besser, wenn wir wissen, was uns antreibt, uns lenkt, uns in Bewegung setzt und unsere Entscheidungen und unser Handeln bestimmt?
Erst, wenn wir unsere Bedürfnisse kennen, können wir bewusst den für uns besten Weg wählen, sie zu befriedigen. Und wir können endlich anfangen, Verhaltensweisen abzustellen und zu ändern, die uns bisher in unserem Leben mehr Schaden als Nutzen oder sogar nur Schaden zugefügt haben. Verhaltensweisen, die wir entwickelt haben und die uns zur Gewohnheit geworden sind, um bestimmte Bedürfnisse von uns zu befriedigen. Verhaltensweisen, die uns aber Schaden, mitunter sogar großen Schaden zufügen, die wir aber nicht wirklich ändern können, weil wir nicht wissen, welche Bedürfnisse hinter ihnen stehen, die diese Verhaltensweisen auslösen. Und wenn wir die Bedürfnisse kennen, die dieses für uns schädliche Verhalten verursachen, dann können wir für uns gesunde Verhaltensweisen wählen und einüben, die dieselben Bedürfnisse genauso befriedigen, uns aber nicht schaden. Das ist ohne Weiteres möglich.
Wir beschäftigen uns also nicht mit uns selbst, lernen uns nicht besser kennen aus Angst vor der Nähe zu uns, aus Angst vor dem Verlust des Vertrauten, aus Angst vor Veränderungen, aus Angst vor der Wahrheit über uns. Und unsere Ängste sind so groß und unser wahrgenommener Leidensdruck zu gering, sodass wir den Nutzen, den Gewinn, die Verlockung, die mit der Begegnung mit uns selbst verbunden sind, nicht sehen können oder sehen wollen.
Wir können nicht erkennen was uns an Positivem, an Bereicherung, an Lebensfreude und Wohlbefinden erwartet, wenn wir durch unsere Ängste hindurchgehen und uns näherkommen, uns kennenlernen, mit uns Frieden schließen, ja zu uns sagen, so wie wir sind.
Wenn wir bei uns zu Hause ankommen wartet unser eigenes, persönliches Paradies auf uns, das wir dann für uns ausgestalten und entwickeln können: Zufriedenheit, Vitalität, Selbstverwirklichung, Wohlstand, Gesundheit und Erfüllung. Ein Leben also, so wie wir es uns tief in uns drinen wünschen, wenn wir unseren Zugang dorthin zulassen und finden.